Im November 2018 habe ich bei den XP-Days in Hamburg meine erste (und bisher einzige) "eXtreme Presentation" (manchmal auch Pecha Kucha genannt) gehalten. Dabei werden in 6'40" genau 20 Folien jeweils genau 20 Sekunden lang gezeigt und dann automatisch weitergeschaltet. Beim Aufräumen meiner Festplatte habe ich meinen Text zu den Folien wiedergefunden. Und da es meines Wissens weder Fotos noch einen Video-Mitschnitt von der Präsentation gibt, halte ich die Kurzgeschichte einfach hier für die "Ewigkeit" fest :-)
[Update 04.03.2021] Bei der OOP 2021 durfte ich diesen Pecha Kucha noch einmal halten. Den Video-Mitschnitt davon gibt es hier.
[0:00, "Kleine Helden"]
Moin zusammen!
Wollen wir nicht alle kleine oder große Helden sein? Zumindest ein klein bisschen?
Die meisten von uns wollten als Kind vermutlich Superkräfte haben. Besser sein als die anderen. Herausstechen. Bewundert werden.
Aber es ist doch viel schöner, einen Freund zu haben, der auch Superkräfte hat. Dann bin ich nicht so allein.
[0:20, "Berggipfel"]
Später im Leben nehmen wir uns dann richtig große Ziele vor. Wir suchen Herausforderungen.
Wir wollen hoch hinaus, vielleicht ganz nach oben.
Und das ist auch gut so. Denn ohne das Streben nach Besserem hören wir irgendwann auf, gut zu sein.
Aber: Wir merken schnell, dass wir es nach oben nicht alleine schaffen.
[0:40, "Seilschaft"]
Es mag Einzelne geben, die riskieren alles und gewinnen alles alleine. Der Großteil der Einzelnen schafft das nicht. Die gehen unter. Die stürzen ab.
Zusammen sichern wir uns – Profis und Neulinge – nicht nur dort, wo es steil ist, sondern auch schon vorher, weil wir die unsicheren Stellen nicht sofort als solche erkennen.
Und dann gelangen wir zusammen nach oben. Und stehen über der Welt.
[1:00, "ISS"]
Am höchsten hinaus geht’s zum ultimativen Abenteuer unserer Zeit. In den Weltraum, zur ISS – hier noch mit Space Shuttle aus der Zeit des Aufbaus.
Wer mich kennt, weiß, dass Weltraumfahrt mein Hobby ist.
Ich bin leider kein Astronaut geworden, begeistere mich aber trotzdem auf viele Arten dafür...
[1:20, "LEGO-Apollo"]
Hier seht Ihr beispielsweise mein Weihnachtsgeschenk vom letzten Jahr.
Mein Sohn hat natürlich angeboten, mitzuhelfen. Ich durfte dann geduldig beobachten und bei den schwierigen Stellen ab und zu auch mitmachen.
Wenn wir nicht gerade LEGO bauen, lese ich gerne Bücher über die Raumfahrt. Auf ein Buch wurde ich im vergangenen Jahr durch einen Vortrag von Jens Schauder aufmerksam.
[1:40, "Chris Hadfield"]
Es geht um das Buch "An Astronaut’s Guide to Life on Earth" von Chris Hadfield, einem Kanadier.
Er flog mir dem Space Shuttle zur Mir, zur ISS, und war später 6 Monate auf der ISS.
Bekannt wurde er den meisten wohl durch seine Cover-Songs aus dem All, hier z.B. „Space Oddity“ von David Bowie.
(Zu finden auf YouTube; und ja, er hat auch diverse populärwissenschaftliche Berichte aus dem All gesendet ;-)
[2:00, "Aim to be a Zero"]
In dem Buch prägte er den Satz „Aim to be a Zero“.
Er teilt Astronauten in drei Kategorien ein:
Die "+1" sind ein echter Gewinn fürs Projekt und fürs Team. Das Problem dabei: Wer es darauf anlegt, eine +1 zu sein, steuert geradewegs auf eine -1 zu. Weil er als Angeber rüberkommt. Oder weil er seine Aufgabe grandios verbockt.
[2:20, "Space Shuttle Cockpit"]
Nun sind Astronauten alle Überflieger, die Besten der Besten, die wollen alle eine +1 sein. Trotzdem müssen gerade sie sich bemühen, einfach nur ihre Arbeit gut und unaufgeregt zu machen. Einfach eine gute Null zu sein.
Denn der Versuch, alles über-perfekt zu machen, führt in diesem Umfeld schnell in die Katastrophe...
[2:40, "John Glenn"]
Astronauten müssen lernen, sich zurückzunehmen, obwohl sie natürlich ALLES können.
Das ist schwierig und war auch nicht immer so. Die ersten Raumkapseln wurden alleine geflogen, erst danach tauchten Teams in den Raumschiffen auf.
Die Astronauten der ersten Generation waren Cowboys, Draufgänger.
Einzelkämpfer mit ausgeprägtem Ego.
[3:00, "10x Developer"]
Das kennen wir auch in der Softwareentwicklung.
Wir kennen alle einen Kollegen, der unglaublich schnell abliefert. Der alle schwierigen Aufgaben bekommt oder sich nimmt. Der Liebling des Chefs.
Er wirkt immer beschäftigt und ist gefühlt 10x schneller als der Rest.
Deshalb nennen wir ihn „10x Developer“. Es gibt dabei aber ein Problem.
[3:20, "gut gemeint"]
Wenn ich glaube, der Einzige zu sein, der solche Probleme lösen kann, dann werde ich das auch irgendwann sein. Dann werde ich zum Flaschenhals meines Teams und meiner Firma.
Und nach dem Abliefern der schnellen Lösung muss das Team 10x so lange aufräumen, bis die Lösung stabil betrieben und weiterentwickelt werden kann...
[3:40, "ISS-Schlaf"]
Außerdem entsteht durch solche 10x Developer eine Heldenkultur, in der Feuerwehreinsätze belohnt und nachhaltige Lösungen vermieden werden. Das führt irgendwann dazu, dass sich ein Teil der Kollegen in Bürokratie und Prozess versteckt, während der andere Teil sich selbst ausbeutet und dabei ausbrennt. Schlafmangel ist nur ein Symptom davon.
Astronauten bekommen übrigens genug Schlaf, darauf achtet die Bodenkontrolle.
[4:00, "10x besser"]
10x Developer kann man auch anders definieren, wie Kate Heddleston das in ihrem Blog tut:
Mach die Menschen um dich herum 10x besser!
Du bist nicht gut, wenn Du besser bist als die anderen, sondern wenn Du den anderen hilfst, genauso gut wie Du zu werden.
Das nützt dem Team, dem Projekt, der Firma langfristig.
[4:20, "Außenbordeinsatz"]
Wie passt das zu den Astronauten? Immerhin sehen wir immer solche heldenhaften Fotos...
Was man hier aber nicht sieht: Da draußen ist noch mindestens ein zweiter Astronaut, damit sie sich gegenseitig helfen können. Und drinnen noch ein Dritter als Unterstützung.
Die Astronauten MÜSSEN bei solchen Aufgaben eine unaufgeregte, gute Null sein.
[4:40, "Alexander Gerst (Buch)"]
Und das mit der Null ist keine Privatmeinung von Chris Hadfield. Alexander Gerst erwähnt das ebenfalls als mittlerweile normale Erwartungshaltung. Es geht dabei nicht um Mittelmäßigkeit, sondern um „gut genug“. Denn perfekt wird es sowieso nie. Und bei komplexen Aufgaben können Aktionismus und Heldentum katastrophale Folgen haben.
Warum ist das für uns in der Softwareentwicklung relevant? Viele unserer Probleme sind unglaublich komplex.
[5:00, "Cynefin"]
Das Cynefin-Framework (Kai-ne-vin) teilt unsere Probleme in vier Kategorien ein. In der einfachen oder offensichtlichen Kategorie und vielleicht auch noch in der komplizierten Kategorie können wir Probleme vielleicht noch als Einzelkämpfer lösen.
Die Probleme der komplexen Kategorie aber können wir erst im Nachhinein richtig verstehen. Das ist in den meisten Fällen viel zu komplex für einen Kopf allein. Diese Probleme sollten wir mit dem ganzen Team lösen.
[5:20, "Star Shape"]
Dafür müssen wir uns als Entwickler anders aufstellen. Vielleicht habt Ihr vom T-Shape gehört: Zusätzlich zu meinem technischen Spezialwissen schaue ich über den technischen Tellerrand. Aber auch das reicht nicht aus. Ich muss das Problem auch fachlich verstehen. Und ich muss soziales Können haben, um mich mit anderen auszutauschen.
Das nennen wir Star-Shape. Star-shaped developers, star-shaped testers, star-shaped product owners...
[5:40, "Mob Programming"]
Und vielleicht benötigen wir dafür auch andere Formen der Zusammenarbeit.
Aufgaben einzeln lösen und das Ergebnis reviewen, wird den immer komplexeren Problemen nicht mehr gerechnet. Vielleicht ist selbst Pair Programming nicht genug, wenn nämlich das gesamte Team den Lösungs-Prozess verstehen muss.
Mob Programming, bei dem das gesamte Team zusammen eine Aufgabe löst, hat sich hier als unglaublich hilfreich erwiesen.
[6:00, "Sharing Culture"]
Das alles wird letztlich auch die Kultur unserer Zusammenarbeit und die Kultur unseres Unternehmens verändern.
Wir brauchen keine geteilten Dokumente. Sondern geteiltes Verstehen durch gemeinsam Machen.
Weg von einer Kultur des Versteckens, Abkapselns – hin zu einer Kultur des Nehmens und Gebens von Wissen und Können.
[6:20, "Danke"]
Sei kein Held. Leg es nicht darauf an, hervorzustechen.
Versuch lieber, eine gute Null zu sein. Mit all Deinem Können. Hilf dem Team. Lass Dir helfen.
Werdet zusammen besser.
Dann löst Ihr gemeinsam und heldenhaft die immer komplexeren Probleme unserer Zeit.
Sei kein Held, sei eine Null. Aim to be a Zero.
Vielen Dank!
[6:40, Ende]
Von Benjamin Felis gibt es übrigens ein ganz tolles Graphic Recording aller vier Kurzpräsentationen.